Die Buch-Rezension „Mein Jakobsweg aus dem Gefühl der Wertlosigkeit“ von Ellen Kalwait-Borck

Kalwait-Borck Mein Jacobsweg, Quelle: Ellens-Verlag

Pilgern liegt im Trend, beliebt ist vor allem der Camino Frances nach Santiago de Compostela. Ellen Kalwait-Borck unternimmt in ihrem Buch „Mein Jakobsweg aus dem Gefühl der Wertlosigkeit“ eine unterhaltsame und authentische Pilgerreise, die sie mehr zu sich selbst führt.

Der Jakobsweg übt eine große Faszination auf viele Menschen aus. Seit dem Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling ist der Jakobsweg in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum immer populärer geworden. Mittlerweile gibt es unzählige Bücher mit persönlichen Erfahrungen über das Pilgern, darunter auch von bekannten Autoren wie Shirley MacLaine und Paulo Coelho. „Mein Jakobsweg“ von Ellen Kalwait-Borck ist ein sehr persönliches und authentisches Buch. Die Autorin lässt den Leser in Form von Tagebucheintragungen an den äußeren Begegnungen und Erlebnissen sowie an ihren innere Erfahrungen auf ihrer spirituelle Wanderung teilhaben.

Ungewisser Aufbruch

Die Motive auf dem Jakobsweg zu wandern sind sehr unterschiedlich. Ihr Anliegen ist es, nach einer persönlichen Krise sich wieder zu finden. „Wer war ich, bevor ich glaubte, so wie ich bin, verkehrt zu sein und mich für mein So-Sein schämen zu müssen?“

Ellen beginnt ihre Pilgerwanderung wie viele Pilger auf dem spanischen Jakobsweg (Camino Frances) in Saint-Jean-Pied-de-Port, einem kleinen Ort in den französischen Pyrenäen. Für die 760 Kilometer zu Fuß quer durch Spanien auf dem Camino Francés bis nach Santiago de Compostela hat sie 49 Tage eingeplant. Anfangs weiß sie nicht recht, was sie erwartet, zumal sie nie gern gelaufen ist und zu einer „notorischen Stubenhockerin“ mutiert ist. Ihre humorvolle und erfrischende Art, die sich durch das ganze Buch zieht, hilft ihr manche „Unpässlichkeit“ während der Wanderung zu meistern. Manches lädt zum Schmunzeln ein, anderes zum Mitfühlen. Seien es der innere Schweinhund, Wetterkapriolen, schmerzende Füße oder auch die Tücken der einfachen Schlafgelegenheiten in den Pilgerquartieren. „Ich schlafe von 22 bis vier Uhr und kann danach das Schnarchkonzert genießen, das von lautem Pupsen begleitet wird …“. Der Weg führt nicht immer durch idyllische Landstraßen, sondern auch durch die öde Meseta-Ebene und Industriegebiete mit schnurgeraden Wegen.

Spirit des Jakobwegs

Je weiter sie auf dem Jakobsweg vorankommt, desto mehr verlieren ihre Sorgen an Bedeutung. Sie interessiert nur, wo sie am Abend schläft und ob die Herberge zumutbar ist. Das Wandern löst in ihr eine wohltuende Veränderung aus. Sie hat viel Spaß und erfreut Pilgerer und Einheimische mit ihrem Gesang. Dabei ist es ihr egal, ob passionierte Pilger die Nase darüber rümpfen, mit Humor und spielerischem Herumblödeln kommt sie am besten ganz bei sich an.

Der besondere Spirit, der auf dem Jakobsweg herrscht, ist deutlich in ihrem Buch zu spüren. Es finden gemeinsame Andachten statt und oft wird gemeinsam gekocht. Gegenseitige Achtung und Hingabe sind ebenfalls wichtige Aspekte auf der spirituellen Wanderung. Einen ganz besonderen Ausdruck findet dies in der Schilderung einer Pilgermesse in La Faba mit Fußwaschung. Nachdem ein Franziskanermönch beim ersten Pilger die Waschung mit einem Fußkuss abschließt, fordert er den Pilger auf, den nächsten auf die gleiche Art den Fuß zu waschen.

Mit alten Kindheitsthemen konfrontiert

Auf ihrem Weg begegnet Ellen vielen anderen Pilgern und Einheimischen, darunter finden sich bereichernde Freundschaften, aber auch eigenartige Begegnungen. „Bis jetzt habe ich meine Talente und Fähigkeiten eingesetzt, um mein Gefühl der Wertlosigkeit zu kompensieren. Ich musste immer die Gute sein, damit ich gesichert das bekomme, was ich brauche“.

Je weiter sie fortschreitet, desto mehr merkt sie, dass sich in ihrem Inneren viel bewegt. Sie kommt ihrem tief verankerten Gefühl der Wertlosigkeit immer mehr auf die Spur, sieht sich mit alten Kindheitsthemen konfrontiert. Die zahlreichen Begegnungen und Situationen mit unterschiedlichen Pilgern und Einheimischen helfen ihr dabei. Sie begreift anderen Menschen als Spiegel, der sie zu ihren ureigenen Themen führt.

Gefühle bedingungslos fühlen

Das Buch „Mein Jakobsweg“ ist ein sehr persönlicher Erfahrungsbericht, doch das Buch nimmt den achtsamen Leser auch mit auf seine eigene innere Pilgerreise. Selbstliebe ist fast für jeden ein wichtiges inneres Thema. Und Ellen verdeutlicht, wobei es ihr bei der inneren Arbeit geht. Der Schlüssel ist die Integration von Gefühlen. Es geht darum, wirklich alle Gefühle zu spüren und zulassen, auch Wut, Angst und Scham. Oft sind es die unterdrückten Gefühle aus der Kindheit, die uns innerlich blockieren und die später als Erwachsener unbewusst und unkontrolliert Ausdruck finden. „Ich habe herausgefunden, dass alles, was irgendwie irgendwo unterdrückt wird, an einer anderen Stelle wieder an die Oberfläche schnellt.“ Ellen ist ihren eigenen Weg gegangen und teilt ihre Erkenntnisse in ihrem Buch und in ihren Seminaren „Gefühlestellen mit Ellen“. „Immer wenn ich aufhöre, gegen ein auftauchendes Gefühl anzukämpfen, kann sich etwas verändern“, ist ihr Credo. Es geht ihr nicht darum, eine Affirmation oder Suggestion zu verinnerlichen, sondern alle auftauchenden Gefühle bedingungslos zu fühlen.

Erlebnisbericht und Ratgeber

Das Buch von Ellen ist sehr unterhaltsam geschrieben und macht Lust, den Jakobsweg selbst zu erwandern. „Mein Jakobsweg“ ist ein nützlicher und authentischer Erlebnisbericht und Ratgeber in vielerlei Hinsicht. Er gibt viele praktische Tipps mit auf dem Weg, darunter welche Herbergen empfehlenswert sind und welche Ausrüstung wirklich in den Rucksack gehört. Es ist aber auch eine sehr persönliche Einladung, sich auf die Reise zu sich selbst zu machen, um sich mehr selbst lieben zu können. Vor allem macht das Buch Mut, sich nicht von äußeren Ereignissen abhalten zu lassen, um sich auf eine Jakobswegwanderung mit ganzen Herzen einzulassen. „Der Jakobsweg ist eine ganz eigene Welt, die sich erst dem erschließt, der ihn selbst geht, unabhängig davon, wie viele Kilometer geschafft werden.“

Kurz&Knapp: Absolut lesenswert. Ein authentisches und humorvolles Buch über die äußere und innere Wandlung auf dem Jakobsweg.

Ellen Kalwait-Borck
Mein Jakobsweg aus dem Gefühl der Wertlosigkeit
Eine Anleitung zur Selbstliebe
Gebundene Ausgabe, 177 S.
Ellens-Verlag, 4. Auflage, 2016

Auch als eBook erhältlich.

Ellen Kalwait-Borck, 1961 in Flensburg geboren, ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Tanz- und Gesangspädagogin und Spirituelle Lehrerin. Sie absolvierte therapeutische Ausbildungen in Gestalt-, Musik-, Körper und Atemtherapie. „Gefühlestellen mit Ellen“ ist aus einer Kombination ihrer Integrationsarbeit und dem systemischen Familienstellen entstanden. Mehr unter http://www.gefuehlestellen.de